Serie: Unsere großen Volkserzieher I
Die mir unbekannte Kuratorin hatte per sms geschrieben, sie säße vorne bei den Büchern und hätte einen blauen Dufflecoat und sehe sehr schlecht, also sie hoffte, ich würde sie erkennen. Oh, dachte ich, das ist wahrscheinlich eine alte Frau und ich habe sie 20 Minuten warten lassen. Aber dann war es eine junge Frau und wir unterhielten uns nett. Ich fragte, was das denn für ein Ort sei wo sie da arbeitet und was sie von der Bevölkerung von der Kleinstadt mitkriege, ob die Leute sie haßten? Nein, natürlich nicht, jedenfalls nicht offen. Aber es sei ja so, daß man den Leuten eine moderne Architektur dahinsetze und dort hinein Kunst stelle, wo sie viel lieber ein Fun-Bad, Multiplex-Kino oder sonstiges gekriegt hätten, mit dem sie was anfangen könnten, da müsse man vermitteln. Schwer genug seien ja schon die Verhandlungen von Institution zu Government und umgekehrt. Man lügt sich an. Ja, man lüge sich natürlich an, man lüge sie an und sie lügen zurück und sie wissen, daß man lüge und wir wissen, daß sie lügen – ein in vollkommener Höflichkeit vorgetragenes exponentielles Wachstum von Doppelsprech, Vierfachsprech, Multisprech. Und in der Konsequenz als Kompromiß erhält man einen blinkenden Multi-Art-Event-Tempel mit Shop, Kinderabteilung, Kreativ-Labor und Kunst-für-Doofe-Seminaren in denen in lockerer Runde von Bacheloretten Künstleranekdoten erzählt werden, die vermitteln: Künstler sind Fremde, aber auch menschlich, (Hoch)Kunst wird von Genies oder Verrückten gemacht, was praktisch dasselbe ist und ist eigentlich nicht verstehbar, steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, halte mich daher daran, was mich anspricht (Design) und was ich achten kann (Handwerk), alles andere zu schwierig, bzw. Ziel des Spottes. Das alles sagte sie natürlich nicht, das dachte sie vermutlich auch nicht, aber ich.
Ich frage mich schon jahrelang, inwieweit die Wahrheit den Menschen doch zumutbarer sein muß und offener anzusprechen, was man eigentlich will, um nicht das Eigentliche der Kunst weiter zu vermüllen und zuzulullen. Daß mein politisches Ziel nicht politische Kunst ist, sondern das ungeschützte, wehrlose künstlerische Feld so gut es geht abzuschirmen und frei zu halten von irgendeiner Rechtfertigung, Nützlichkeit, Einsetzbarkeit usw. – was das doch für eine enorme soziale Errungenschaft sei, sagte ich, daß es das überhaupt gebe, völlig gegen alle Wahrscheinlichkeiten immerhin irgendwie noch gebe und unbedingt erhalten bleiben muß, als Ausdruck der Höhe der Zivilisation solche – unklaren Bereiche zu haben, sich zu leisten, und daß ich mir natürlich nicht sehr sicher wäre, daß das die arbeitende Bevölkerung ähnlich sehe, wenn sie es mal richtig in den Blick bekäme. Ich hätte es nämlich wirklich gerne, daß man ihnen ein echtes Einsehen ermöglicht und es tut mir wirklich weh, sie dauernd unterfordert zu sehen, wie sehr man sie verachtet, auch die Linken. Ich bin also tendenziell für Überforderung, sagte ich der Frau, ihnen ruhig mit dem „Schwierigen“ kommen, es ist riskant, trotzdem. Das Government wie die Institution wie der Abendessentisch muß sie ernst nehmen, damit sie sich selber auch ernst nehmen können und sich nicht ihrerseits länger rausreden mit: wir verstehen ja eh nix. (Ist uns jedenfalls so nicht gesagt worden.)
Staatsgeld für einen Bereich in dem Dinge entstehen können, die widersinnig, nutzlos, unfreundlich, kompliziert, verstiegen, verdreht, esoterisch, nur sich selbst verpflichtet sind. Dafür euer Geld. Keine Ablenkung, kein Fun. Ihr versteht nicht, wofür das gut sein soll? Das macht nichts, darüber genau soll man reden, wofür das möglicherweise gut ist, und nicht die wirklichen Fragen vermeiden, indem der Eventcharakter der Kunst gesteigert wird und die lästige Bevölkerung mit Dummheit aufs Dümmste befriedigt und ruhiggestellt wird.
Dann gingen wir zu den Rentieren in die Carsten Höller Ausstellung und ich verspürte ein Interesse zu hören, was ein besonders kunstfeindlich und verklemmt aussehender Wärter davon hält und sprach ihn zur Abgleichung meines Gesagten an. Er wich sogleich zurück.
Am 16. Dezember 2010 um 23:15 Uhr
ich weiß nicht, so gesehen, käm ich mir wahrscheinlich ein wenig zu heilig in der besenkammer vor, andererseits, dafür ist s ja die besenkammer, da störts ja vielleicht auch niemanden, wenn ich aus mir selbst heraus vor mich hin leuchte.
Am 16. Dezember 2010 um 23:54 Uhr
Verstehe ich nicht. Besenkammer?
Am 16. Dezember 2010 um 23:55 Uhr
das künstlerische feld.
Am 17. Dezember 2010 um 00:00 Uhr
ha?
Am 17. Dezember 2010 um 00:01 Uhr
verstehe ich immer noch nicht, bzw. verstehe nicht, was du meinst.
Am 17. Dezember 2010 um 00:26 Uhr
na, diese errungenschaft des küfelds, die du da so stark machst, ich find, das ist ja eher so von der größe einer besenkammer im vergleich zu allem anderen und ich finde, eigentlich kann man das wohl keinem streitig machen, es tut ja auch keinem weh und den museumswärter erhält es noch.
Am 17. Dezember 2010 um 01:52 Uhr
der Museumswärter und seine Kollegen sind von einer privaten Sicherheitsfirma mit empfohlenem, aber nicht gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn in Berlin: Euro 7, und was der davon hält, das hat er nicht zu sagen gewagt und auf „33“ verwiesen. Da hätte ja schonmal was gebrannt. Ihn gehe das nichts an und wenn er einen rostigen Nagel bewachen soll, der angeblich 1 Million wert sei, dann mache er das selbstverständlich. Er mache hier seine Arbeit. Die im Hamburger Bahnhof sind zu 80% Kunsthasser, achte mal drauf. – Aber das ist nicht nur das Thema, es geht um Indienstnahme von Kunst allgemein, egal zu welchem Zweck, ob Event- oder Polit-Kunst, das Jubiläumsheft von TZK behandelt Politik und Kunst, [TZK sagt: Wir stehen links oder Wir sind Linke, und ich frage mich, was damit gemeint ist, was das heißt, ob das möglicherweise auch ein Verhalten nach sich zieht oder ob das irgendwelche Worte sind, die auch andere sein könnten, was heißt zum Beispiel „soziale Realität“ im TZK-Zusammenhang, ist das ein Begriff und geht es „rein“ um Begriffsbildung [und dessen Einsatz in einer Theorie als zurechtgemachtes Versatzstück ins Verhältnis gesetzt zu anderen Versatzstücken usw.] oder ist das ein Ausgriff, geht es auch um das, was diesen Begriff füllt und eine Beschäftigung über den Schreibtisch und über den Austausch mit den paar anderen, die das Gleiche betreiben, Begriffsbildung und Begriffspräzision und Texte abfassen, die sich auf andere Texte beziehen, hinaus? – Das interessiert mich. Und zu beobachten, wie das Sein im Exzellenzcluster im Unterschied zum Sein im nicht so exzellenten Cluster bei Mindestlohn bei der Sicherheitsfirma im Unterschied zum Sein der versorgten Ehefrau usw. sich auf das jeweilige Bewußtsein auswirkt. Und welche Schlüsse daraus gezogen werden können.]
[auch nochmal wahrnehmungstechnisch mit BINNENPERSPEKTIVE beschäftigen, dachte ich. Man sieht von außen nicht gut, aber von innen oft erst Recht nicht. – Einem Kollegen also, der immer irgendwo „steht“, statt z.B. auch mal geht und sich woanders bewegt, würde ich nicht viel zutrauen. – s. Phänomenologische Übung im KARSTADT. 1.1 Das Aufnehmen von Realität.]
ich habe [das neue Heft] noch nicht gelesen, werde es hoffentlich bald und Anlaß für obigen Text war eben Treffen mit der Frau, die in so einem Museum/Interaktion/Laden/Cafe Synergieffektescheiß arbeitet, und wie man Kunstausstellungen rechtfertigen muß, weil man die Leute um ihr Spaßbad gebracht hat mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten und Kunst danach aussucht und als irgendwas hinstellen muß, was doch auch Spaß bringt oder Geld, oder Renommee für die Stadt oder was weiß ich, das jedenfalls irgendwas abwerfen und bringen muß, möglichst ablesbar an Zahlen und an Leuten, die sagen, Kunst kann ja auch ganz locker sein, braucht man gar keine Angst vor haben. – Alles falsch.
Die Leute sollen lernen und akzeptieren daß es Bereiche geben muß, die sie nicht verstehen müssen. Die schützenswert sind, auch wenn die Mehrheit damit nichts „anfangen“ kann die ökonomisch und auch sonst nichts direkt einbringen, schwach und sinnlos wirken, unlustig, abweisend, ungemütlich. Warum das neue BND-Gebäude am der Chausseestraße 3 Kilometer lang und breit und hoch sein muß, da fragen sie auch nicht nach dem Sinn, was es soll und was es kostet und wem es nützt. Mir wäre natürlich lieber, sie verstünden warum es sowas geben soll, sie sähen und empfänden den Wert des Denkens der Freiheit der Schönheit und könnten sich in die Lage bringen, auch selbst dafür einzutreten.
Am 17. Dezember 2010 um 08:57 Uhr
ich will diesen text bitte an alle wände plakatieren! ich will, dass genau das thema sei überall da, wo man spricht und werkt. ich will, dass man kapiert, dass das hochpolitiisch ist. und sein soll. und muss. andernfalls droht kunst ein linkes hobby zu werden und das volkserziehen wird das hehre ziel! raus raus raus!
Am 17. Dezember 2010 um 11:18 Uhr
ach du schreck. ich hab ja auch mal kunst bewacht und ich hab den wächtern nicht so übel genommen, dass sie das meist nicht interessiert, viele hat aber auch das ein oder andere durchaus interessiert und einige hatten auch missionarischen eifer. es gab auch manche kunst, da hätte ich die künstler für schlagen wollen, weil man das keinem bewacher zumuten kann 8 stunden täglich eat me feed me anhören zu müssen, dann muss so eine kunst eben unbewacht bleiben, oder mit kameras bewacht werden, ich selbst hab immer den ton abgedreht bei brüllkunst, wenn eh keiner kam und proust gelesen stattdessen. was ist denn bitte ein museumsinteraktionsladen? und liegt es nicht auch manchmal an diesen ängstlichen vermittlern, die könnten ja auch sagen, bringt gar nix, soll aber jetzt trotzdem stattfinden.
ich hab gar nicht den anspruch, dass jeder, der einen rostigen nagel bewacht, den wert dessen auch zu schätzen wissen sollte. ich glaub auch nicht, dass die leuz angst vor kunst haben, es interessiert sie nicht. aber es gibt ja welche, die es interessiert, warum sollen die schlechter sein als die, die es nicht interessiert, könnt man sich ja auch an die halten, oder? so wenig sind in den städten meist ja auch nicht und in sowas leben wir ja, wahrscheinlich genau darum.
neulich hat mich mal wer angeblafft, dass familie alles kleinbürgerlicher scheiß sei und zwar immer und ich hab gedacht, wieso denn das, und wieso sollen ausgerechnet alle anderen weniger korrupt sein als die eigenen erzeuger, wenn die einen nicht gerade jahrelang in den keller sperren, sind sie vielleicht auch nicht schlechter als michel foucault, der mir auch nicht die windeln gewechselt hat. so ganz versteh ich einfach nicht, warum eine art kunstförderung sich überhaupt rechtfertigen soll, man könnt doch auch sagen, interessiert die meisten nicht, aber ein paar eben doch und da wir uns qua verfassung eben auch um die paar kümmern wollten, machen wir jetzt prozentual für die paar eben diesen museuminteraktionsladen, der dann meist auch noch ein paar andere mit anlockt.
Am 17. Dezember 2010 um 12:06 Uhr
WUTBÜRGER
Am 17. Dezember 2010 um 12:47 Uhr
Mein lieber Bruder schickt mir ein Originalautogramm von Franz Josef Strauß von ca. 1978 und 1 Inflationsgeldschein mit dem Aufdruck 1 Milliarde Mark!
Am 17. Dezember 2010 um 12:57 Uhr
und wenn sie dann wütend werden, von wegen steuergelder, dann denken sie sich halt den künstler als einen subventionierten messi, wie meese, vermutlich, und dann werden sie eigentlich nicht sauer auf die kunst, sondern auf die langen haare und den künstlertypen so an sich, und sind neidisch auf das viele geld, auch wenn dem das viele geld vermutlich ziemlich egal und es auch gar nicht so viel ist, wenn alle mit dem, was sie tun etwa gleich arm blieben, dann lässt man gemeinhin auch jeden tun, was er will, was auch gelogen ist.
aber sie würden sich dann wohl auch genauso über den deutschen konsul aufregen, der als subvebtionsaustist verkündet, er habe gar nichts zu tun und aus not angefangen, die faz zu korrigieren, ich glaub auf den wären sie noch wütender, aber den kriegen sie halt seltener zu gesicht und erwischen ihn weniger häufig bei seiner ineffizienz.
Am 17. Dezember 2010 um 13:20 Uhr
RRRRRRRRRRRRRRRAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRGGGGGGGGGGGGGGGGGAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH
Am 17. Dezember 2010 um 13:22 Uhr
düt habsch da oooch jedacht…
Am 18. Dezember 2010 um 02:26 Uhr
schade und schwupps ist kaputt.
Am 18. Dezember 2010 um 12:38 Uhr
sowieso
Am 18. Dezember 2010 um 15:01 Uhr
manchmal seids aber schon ein paar echte knallis, ‚das sein als versorgte ehefrau‘, ich mein ja man bloß. das sind doch auch alles krücken, um sich die welt genau so zu drehen, wie sie eigentlich noch nie war, aber gerade noch ins eigene narrenkastel passt.
manch versorgte ehefrau hat tatsächlich mal anders begonnen und unter versorgung auch nix anderes gemacht als unter noch nicht versorgung und manch exdrogi irgendwie auch noch die kurve gekriegt und mit der kohle dann auch nix anderes bezahlt als versorgte ehefrauen und ihre versorger. könnt auch durchaus sein, dass sich noch was ganz anderes aufs bewusstsein auswirkt, nämlich das ressentiment zb. wenn man von dem einfach nicht runter kann oder will und kein gefühl entwickelt für die menschen, denen man begegnet, dann hilfts alles nichts, und ich weiß, dass der uhu eigentlich bei nacht fliegen kann und uns führen aus finsterstem tal.
les übrigens gerade bernhards meine preise, würd dir sicher gefallen. kaffee nächste woche mit versorgter und versorger?
Am 18. Dezember 2010 um 19:57 Uhr
Na klar. Wir geben keinen verloren und sei er auch noch so versorgt.
[von wegen]
Am 18. Dezember 2010 um 21:51 Uhr
daumen hoch!
Am 19. Dezember 2010 um 00:15 Uhr
Peter Kern in der fas
(…) „Er ist so verzweifelt über Peter Steins Inszenierung von ,Die Neger‘, und er droht, die Aufführungsrechte zurückzuziehen“ – aufgeregt, mit süffisantem Lächeln, kommt Dieter Schidor, mein bester Freund und der Produzent von Fassbinders „Querelle“, 1982 im Foyer des Berliner Hotels „Am Zoo“ am Kurfürstendamm auf mich zu. „Er fliegt gleich nach Marokko, komm mit, den musst du kennenlernen.“
Jean Genet saß mit grauem Pullover und kariertem Schal, das Kinn am Handrücken aufgestützt – und erwartete von Schidor erst einmal Geld, und zwar in bar. 100 000 Mark Honorar für die Verfilmungsrechte seines Romans „Querelle“. Die Hälfte hatte er als Vorschuss schon erhalten. Genet hatte nur ein Interesse: auf dem schnellsten Weg an den Rest der vereinbarten Gage zu kommen. Schidor beklagte Probleme mit seinem Regisseur Werner Schroeter, der wollte ephebenhafte Jünglinge als Matrosen besetzen, was so gar nicht der Vorstellung Genets entsprach. „Querelle“ erzählt von Mördern und Vergewaltigern, von Gestalten, die Liebe mit Gewalt erzwingen, und von Schönheit aus gelebtem Leid.
Meine Schweißzellen in der Innhand liefen Amok. Wie begrüßt man einen Jahrhundertdichter, der seine Leser seit vier Jahrzehnten erregt und süchtig und mit jedem wiederholten Lesen total besoffen macht? Ich bin so verunsichert und mache nur noch Fehler. Ich reiche ihm die Hand und erwarte die Kraft eines Diebes. In meiner Hand bildete sich ein See. Er wird sich ekeln und mich nicht beachten, schießt es mir durch den Kopf.
Dann strahlt er mich an. Ein kleiner Mann mit treuem Hundeblick, ein Mischling, zwingererprobt, viel alleingelassen. Mühevoll hebt der seine Pfote und streichelt meinen See der Gefühle. Kein fester männlicher Händedruck, eher ein „Patschepatsche-Händchen“.
„Il est riche, il a de l’argent?“ (Ist er reich, hat er Geld?), fragt er und lächelt sogar. Der französischen Sprache nicht mächtig, antwortete ich „merci beaucoup“. Ich mache mich lächerlich und triumphiere mit den einzigen französischen Wörtern, die ich gelernt habe: „Beaucoup d’amour pour Jean Genet.“ Er beachtete mich kaum, ich glaube sogar, dass er mich gar nicht sah, er schaute durch mich hindurch. (…)