Unsere Zeit (UZ) (fuer Bernd)
Der Ton, den Bernd und Matumba pflegen, ist rüde und es lebt sich frei und wild. Leider drücken sich neuerdings auch viele Leute in Gossensprache aus, denen man es nicht zugestehen möchte. Halt die Schnauze Du blöder Ficker, Spastiker, oder auch Wichser, so schallt es weit über die Flure der Versicherungsanstalten und Banketagen. Auch wenn Modefritzen schmunzelnd so zu scherzen belieben, ist das die reinste Pest. Bernd und Matumba aber sind anders. Ihre ganze Art verrät, das sie „es“ „einfach“ „haben“. Sie sind Hauptschüler, stark nikotinabhängig und brauchen keine dicke Hose machen. Sie haben eine solche einfach an, tragen sie in natürlicher Schönheit und Würde. Kein Wunder, daß sie so hübsche junge Freundinnen haben.
Bernd war nun gleich nach der Arbeit zu der Frau aus Südamerika in das Restaurant Pinzette gelaufen und hatte begonnen, das gelbe Licht der Sonne mit sich zu vereinen. Es wird dort ohne viel Gewese in Halbliterflaschen auf den Tisch gestellt. Matumba saß auch schon da in seinem unvergleichlichen Lagen-Look mit Teddyfellapplikationen. Bernd fragte, ob er sich zu breit mache. Mit seinem Bruder hätte er eine Markierung am Tisch gehabt, die keiner hätte überragen dürfen. Bernd durfte mich ruhig berühren.
Ein altes Bocuse-Buch habe er zu Hause, übersetzt von dem Typ, der ein Teil jenes Paares ist, das seit vielen Jahren auf dem dritten Programm vom WDR kocht. Dieses widerliche Paar, das sich immer so unangenehm vor den Leuten zankt. Er ginge ja noch, aber die Olle, echt, diese fiese Olle. Darin stünde jedenfalls geschrieben, wie man Fleisch briete. Close reading bringt nur bedingt was, bemerkte Karl Heinz Bohrer ungefragt vom Nebentisch aus.
Dann kam das Essen und es wurde nichts mehr geredet.
Die beiden Männer überlegten nach dem Verzehr hin und her, ob sie nicht nochmal das gleiche bestellen sollten, aber diesmal ohne alles, nur Fleisch. Dann gingen wir zu Matumba nach Hause. Bernd aß da noch eine Dose Cashew-Kerne, Ölsardinen und einige Speckseiten aus Matumbas reichhaltigem Beikaufsortimentsvorrat und natürlich noch mehr Bier. Unbegreiflich, wo dieser dünne Mann aus der Oberpfalz die Nüsse, die Sardinen und alles andere hinlagerte. Dazu wurde „eine ganz tolle Folge“ der beliebten Serie Dr. House gesehen. Ich habe versucht, es runterzumachen und jeden Satz so blöd kommentiert, daß Matumba glaub ich wirklich sauer war. Ich kann nicht begreifen, daß man sowas gerne sieht. Der Dr. House selbst ist gewiß nicht unsympathisch, aber es bleibt doch eine typische Ami-Serie wie alle AmiSerien neueren Zuschnitts. Macht auf hart, ist aber im Grunde total anbiedernd und versöhnlerisch. Die Art von augenzwinkerndem Dialog/ „Erotik“/Gleichstellungsbeauftragten -Humor eckelt mich. Ebenso widert mich das Wort augenzwinkernd an. Ist doch Polizeiruf 110 besser, oder Bella Block oder was. Als die Folge endlich vorbei war, wünschte ich mir etwas Zeitgeschichte. Was das denn eigentlich hieße, Zeitgeschichte, fragte Bernd. Letztens hat er gefragt, was eigentlich Kommunismus sei und ob ich Kommunist sei. – Es kommt natürlich auf die Situation an, was man ist.
Der gute Matumba zeigte dann Material von Anfang der 90er Jahre. Silvester 93 z.B. aus der tschetschenischen Kaukasus-Enklave Grosny bei Bergkarabach, Pfälzer Straße, in der noch vereinzelt geschossen wurde.
Erst fürchtete ich mich vor mir selber als jüngerer Frau, aber es war unnötig. Ich sah gar nicht gut aus, eher so christlich, unfresh. Heilfroh war ich, hatte ich nämlich heimlich eine Heidenangst gehabt, etwas unwiederbringlich Schönes als ewig Verlorenes in mir sehen, und nun immerfort diesen heißen Zeiten nachtrauern zu müssen. Nö.
Die Wohnung und die Utensilien aber waren prima, alles stimmte bis ins kleinste Detail, wie die Kamerafahrt bewies. Zu der Zeit spielte ich gern und oft „Perestroika“ mit den Richtungstasten. Wer kennt das Spiel nicht. Ein kleiner Frosch springt über immens schnell zerschmilzende Schollen vom Start zum Ziel. Zu gewinnen gibt es praktisch nichts. Bald kommt ein rotes Männchen und will ihn kriegen und kriegt ihn auch oft. Dann stößt er einen furchtbaren elektronischen Todesschrei aus. Man hört außerdem den Sound der zerplatzenden Schollen und der Frosch macht „jap jap jap jap“, sammelt er unterwegs Geld, Geld und neue Leben? Ich weiß es nicht mehr. Dazu lief im Radio eine Sendung, in der sich Lehrlinge über ihre Arbeitsbedingungen beschweren. Das war Silvester 1993.
Bernd klatschte in die Hände, so freute er sich am Anblick des jüngeren Matumba am Frühstückstisch oder auf dem Klo. Er hätte sich ja überhaupt nicht verändert, wäre einfach nur älter geworden. Der Idiot.
Weiter ist eigentlich nichts passiert, oder? Wir zollten Matumba tiefe Bewunderung für seine Duschcreme-Sammlung. Er hat an die 600 Flaschen parallel in Gebrauch. Bernd mußte dann viel zu früh nach Hause gehen. Er wohnt in Brühl, dort wo das Phantasialand ist. Ich überrede M noch mitzukommen ins Stereo Monoland, es ist praktisch bei ihm im Haus unten drin. Der Notebook-DJ war sehr aufgeschlossen und wir dürfen uns was wünschen, ich will ihn nicht ärgern und wünsche mir total gängige Musik. Hast du The Fall? – Was? – nicht schlimm, hast du vielleicht Wire? – Wie? – Äh, hast du denn zum Beispiel … Gun Club? – Wer? – Es war mir peinlich, wollte ihn wirklich nicht in Verlegenheit bringen. Mit diesem alten Käse überdies. Er schrieb sich alles auf, richtig, nicht WIA oder so.
Ist wirklich nicht schlimm, weil das ist ja auch alles sehr alt und du bist ja… du bist ja höchstens 23… – 14. – Jahrgang 2003, oh Mann, Wahnsinn.
Er spielte dann This Boy is Tocotronic von der Gruppe Tocotronic.
Und des Geschwätzes wird kein Ende sein.
Am 8. September 2007 um 23:23 Uhr
ich wundere mich, dass sich niemand anders wundert über die schönen worte, die eichwald hier findet.
da isst und trinkt man alltäglich und zack! macht eichwald was grosses draus.
aber was meinst du mit „WIA“, liebe michaela?
so, jetzt trinke ich noch einen schnaps.
Am 8. September 2007 um 23:29 Uhr
Moment!
Von Ölsardinen stand doch in der ersten Fassung nix, oder?
Am 9. September 2007 um 01:59 Uhr
Was?
Am 9. September 2007 um 14:29 Uhr
Welche Ölsardinen?
Am 9. September 2007 um 19:51 Uhr
irgendjemand hat mir unlängst welche versprochen. oder hab ich das geträumt? es wird immer undurchschaubarer. ich träume bereits agenturmeldungen. am nächsten tag steht nichts davon in der zeitung. ich mache vorschläge, auf die keiner hört.
Am 9. September 2007 um 21:16 Uhr
und ich höre Vorschläge, die keiner macht. Dafür habe ich mir endlich einen mp3-player gekauft von der Firma Samsung und war grade damit draußen. Das ist ja vielleicht eine feine Sache! Akte, die man will und auch vertritt.
Am 9. September 2007 um 21:18 Uhr
I feel like Andreas Vollenweider
Am 9. September 2007 um 21:22 Uhr
and friends
Am 10. September 2007 um 01:58 Uhr
on crack
Am 10. September 2007 um 02:23 Uhr
vinceró!
Am 7. März 2012 um 21:37 Uhr
Diesen gottverdammten Text habe ich nach 4 einhalb Jahren noch einmal gelesen und was soll ich sagen? Du beobachtest zwei Schweralkoholiker bei der Arbeit. Sehr liebevoll gemacht.
Am 7. März 2012 um 23:37 Uhr
Hey Bernd, immer wieder gerne. Wir müssen bald mal wieder einen schönen trinken, am besten, wenn es wermer ist.
Du kannst mich ja dann aufwecken.